Silicon Cities

Irisierende Straßenzuege, neonbeleuchtete Haeusersilhouetten, schwindelerregende Wolkenkratzerschluchten – all das meint man auf den Fotografien von Heiko Hellwig zu sehen. Als handele es sich um Satellitenaufnahmen, die von oben auf das Chaos von Megacitys, die Oede von Industriegebieten oder die Labyrinthe von Vorstadtsiedlungen herabschauen. Ein futuristisches Szenario aus Lichtpunkten und Neonpfaden in der Nacht.

Die vermeintlichen Stadtansichten komponiert Heiko Hellwig aus den Eingeweiden von ausgedienten Computern und Spielkonsolen. Ueber lange Monate sammelte Hellwig das Material, einen wahren Schatz aus faszinierenden Motherboards, Prozessoren und Mikrochips. In seinem Studio fotografierte er die komplexen technischen Architekturen quasi unter der Decke schwebend mit praeziser Ausleuchtung durch speziell umgebaute Filmscheinwerfer und einer Kamera, die hochaufloesende Bilder erzeugt, wollte Hellwig vor allem die Plastizitaet der eigentlich flach wirkenden Mirkoelektronik betonen, ihren Detailreichtum und ihre Undurchdringlichkeit. Prozessoren offenbaren die von ihnen beherbergten und transportierten Informationen nicht einfach, sie verstecken sie in ihrer digitalen Architektur.

Danach wurde alles am Bildschirm visualisiert und mit Hilfe des Computers bearbeitet: Mehrere Fotografien wurden uebereinandergeschichtet, die gelben, orangefarbenen und purpurnen Neonschattierungen wurden hinzugefuegt, bis die Fotografien ihre durchscheinende Undurchsichtigkeit erhielten, ihr labyrinthartiges Funkeln und diese Ambivalenz aus Licht und Schatten. So faengt die Serie die Komplexitaet und den opaken Charakter digitaler Maschinen ein. Gleichzeitig wirken diese wie futuristische Staedte aus einem Science-Fiction-Film, vom Himmel herab fotografiert.

Die verheißungsvoll in der Nacht schimmernden „Silicon Cities“ repraesentieren für Hellwig mindestens zweierlei: Zum einen verweisen sie auf die von Computerherstellern in Aussicht gestellte helle utopische Zukunft einer voll technologisierten Welt. Zum anderen offenbaren sie aber auch etwas Abgruendiges. Auf diese Weise enthuellen sie den Kern unserer digitalisierten Gesellschaft. Diese wird von Informationen gesteuert, die wir nicht mehr erfassen und deren Quellen und Wege wir nicht mehr nachvollziehen koennen. Die Frage nach der Nutzung von Information fuehrt staendig zur Verschiebung der Grenzen des Erlaubten.

Die grundlegende Idee zu der Serie ist schon vor langer Zeit entstanden. Eine wichtige Inspirationsquelle dafuer ist der dystopische Experimentalfilm „Koyaanisqatsi“ aus dem Jahr 1982, der in einigen Sequenzen beschleunigte Nachtaufnahmen von Autobahnkreuzen und Straßenschluchten enthaelt. In der assoziativen Ueberlagerung von digitalen und urbanen Architekturen gelingt es

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Hellwig, heutige Staedte als das zu zeichnen, was sie sind: teils real und teils ueberlagert von den imaginaeren Strukturen, die das Internetzeitalter erzeugt. „Silicon Cities“ eben, irgendwo im Silicon Valley erfunden und dann als kuenstliche Paradiese in unsere Koepfe eingezogen.

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